Im Jahr 2020 verstarb überraschend der Kulturanthropologe David Graeber in Venedig. Ich kannte bisher nur das Buch “Bullshit-Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit” von ihm, in welchem er die These vertritt, die von Ökonomen prophezeite 15-Stunden-Woche wäre längst möglich, wenn nicht ein Großteil der Menschen in sinnlosen und bisweilen gar gesellschaftlich schädlichen Berufen arbeiten würden. Eine These die ich weitestgehend teile.
In seinem letzten Buch “Anfänge – Eine neue Geschichte der Menschheit” versucht er zusammen mit David Wengrow tatsächlich einen neuen Blick auf den Beginn der Menschheit zu werfen, jenseits der etablierten Pfade. Im Grunde halten die Autoren die Konstruktion eines “Urzustandes” der Menschen wie bei Hobbes und Rousseau für falsch und schädlich. Durch viele archäologisch und anthropologisch zu detaillierten Beispielen machen sie deutlich, dass es sehr viele unterschiedliche spielerische Möglichkeiten der Entwicklung menschlicher Gesellschaft gibt und das die klassische (ökonomische-) Theorie des Fortschritts von der Jäger-und-Sammler-Gesellschaft über Ackerbau und Stadtentwicklung zur modernen (kapitalistischen-) Ordnung eben nur eine Theorie ist, die vor allem im Rückblick gut aussieht, mehr aber auch nicht. Angewandt auf die Gegenwart und Zukunft ist sie sogar schädlich.
Die Argumente sind mit unter nicht eindeutig zu werten. So bezeichnen die Autoren zum Beispiel die unterschiedlichen Nilfluten als hinderlich für die Entwicklung einer schriftlichen Verwaltung bzw. Behörde, da sich jedes Jahr die Grundstücke ändern. In der Regel wird das Argument (zumindest meines Wissens) meist andersherum verwendet: Eben die häufigen wechselnden Nilfluten machten eine permanente und effektive Bürokratie notwendig.
Das Buch ist dennoch erhellend und wirft ein ein erfrischendes Licht auf manch eingefahrene Sichtweisen. Mitunter irritiert der etwas harsche und hämische Ton, vor allem bei Kritik an Kollegen, welches auch manchmal aus dem Zusammenhang zitiert werden. Hier merkt man das Graeber auch politischer Aktivist war.
Der größte Wert des Buches liegt für mich in seiner Kritik an der etablierten ökonomische Geschichte der Menschheit, sowie an den detaillierten archäologischen und anthropologischen Ausschweifungen zu unter anderen auch eher unbekannten Stätten wie Taljanky. Letzteres muss man aber auch mögen, sonst quält man sich sehr durch die 550 Seiten voller Details und Abschweifungen.